Impetus – Antrieb & Motive
Es ist für alle die sich mit der Pflege und Betreuung von Menschen mit Demenz beschäftigen nicht mehr zu übersehen:
Das Krankheitsbild Demenz ist ein Markt und Wirtschaftsfaktor geworden!
Waren demenzielle Erkrankungen der breiten Öffentlichkeit vor Jahren noch relativ unbekannt, finden Sie heute, egal in welchen Medien, ein breites Spektrum an Informationen über die Demenz und allen damit verbundenen Themen. Demenzerkrankte rauben in Fernseh- oder Kinofilmen Banken aus, zünden Häuser an, verlieben sich nochmal, sind Gegenstand verschiedenster dokumentarischer Begleitung oder bringen sich am Ende wahlweise selbst um.
Nicht falsch verstehen. Ich beklage nicht das wachsende öffentliche Interesse an dem Krankheitsbild Demenz. Immerhin hat es schon dazu geführt, dass nach einer Studie der DAK Gesundheit rund 50% der deutschen Bürger sich dafür fürchten an einer Demenz zu erkranken. Weit mehr als vor einem Herzinfarkt oder einem Schlaganfall. Nur Krebserkrankungen scheinen den Deutschen noch schlimmer. Bei den über 60jährigen aber nicht einmal das. Dort ist die Demenz mit 58% der absolute Spitzenreiter. So funktioniert wirklich gute Öffentlichkeitsarbeit! Furcht schafft Aufmerksamkeit, Aufmerksamkeit schafft politisches Handeln und im besten Fall schafft politisches Handeln Gesetzesänderungen, bessere finanzielle Unterstützung und eine Strategie. Schließlich gilt es für mittlerweile 1,7 Millionen Demenzerkrankte und deren Angehörige Strukturen zu schaffen, die ihnen ein menschenwürdiges Leben bis zum Tod gewährleisten können. Einen wirklichen Plan gibt es für dieses Szenario aber nicht. Trotz der „guten“ Öffentlichkeitsarbeit. Nach der Einführung der gesetzlichen Pflegeversicherung, dem Pflegeweiterentwicklungsgesetz, dem Pflegeleistungsergänzungsgesetz, den Pflegestärkungsgesetzen, gibt es ja nun die Nationale Demenzstrategie. Immerhin hat man sich Gedanken gemacht. Die Probleme bleiben die gleichen. Sollten, könnten und es wäre wünschenswert. Kaum Verbindlichkeit und viel Freiwilligkeit. Politik scheint scheinbar immer von der Angst getrieben der „Wahlbürger“ könnte die nötigen und längst fälligen Änderungen und die damit verbundenen Kosten beim nächsten Urnengang bestrafen. Nur so lässt sich der fahrlässige politische Umgang mit diesem Thema erklären.
Die Kehrseite des Interesses
Die Wahrnehmung der breiten Öffentlichkeit hat aber nicht nur Vorteile. Sie mag das Interesse zwar zunehmend auf die vielen Menschen mit Demenz lenken, erzeugt aber auch eine Art Goldgräberstimmung in manchen Gebieten der freien Wirtschaft.
Besonders deutlicher wird dieses auf dem Markt der medizinischen und nichtmedikamentösen „Therapien“ und Beschäftigungsangeboten.
Die nichtmedikamentösen therapeutischen Angebote
Haben vor einigen Jahren die bewährten therapeutische Angebote wie Milieutherapie, Basale Stimulation, Validation, Musik- und Ergotherapie oder die 10-Min.-Aktivierung biografisch orientiert und fachgerecht angewendet bei der Betreuung von Menschen mit Demenz ausgereicht, muss es heute in vielen stationären Einrichtungen oder bei ambulanten Angeboten scheinbar ein Sammelsurium von verschiedenen Therapieangeboten geben um „up to date“ zu sein. Unbestritten kann ein breit gefächertes Angebot dem Demenzerkrankten nützlich sein und es kann so unter Umständen individueller betreut werden. Aber es besteht eben auch schnell die Gefahr viel zu viel zu wollen. Und bei einem sind wir uns sicher einig: VIEL ist ganz sicher kein Qualitätsmerkmal!
Durch den „Markt“ Demenz sehen so manche Anbieter eine schnelle und gute Möglichkeit auf einem expandierenden Markt ihre therapeutischen Kabinettstückchen mit Lizenzgebühren zu versehen und zu verkaufen. So gibt es heute eine immer unübersichtlichere Anzahl von sogenannten Therapieangeboten, die nicht immer sinnvoll erscheinen und zum Teil sogar kontraproduktiv sein können.
Um einem Missverständnis vorzubeugen: selbstverständlich ist es nicht per se verwerflich, mit der Arbeit mit Menschen mit Demenz Geld zu verdienen. Dahinter steht Leistung, von der Altenpflegerin bis zum Arzt, vom spezialisierten Angebot für die Teilhabe und das Wohlbefinden bis hin zu Rehabilitationsleistungen oder betreutem Urlaub. Diese Dinge können ihr Geld wert sein, gar keine Frage. Dennoch ist es zwingend notwendig zu hinterfragen, ob alles was theoretischen Nutzen bringt oder was unter dem Schlagwort „Therapie“ verkauft wird, sinnvoll ist. Oft genug wird dies nur im Einzelfall beantwortbar sein. Immer ist jedoch die kritische Auseinandersetzung mit einer angebotenen Leistung und der Abwägung des Aufwandes hinsichtlich des Nutzens für Menschen mit Demenz – und auch ihren Angehörigen – geboten.
Vielfalt tut gut!
Natürlich bin auch ich der Meinung, dass es erst einmal toll ist, welche Vielfalt es mittlerweile an nichtmedikamentösen Behandlungsmöglichkeiten es für Menschen mit Demenz gibt. Und auch einige der „neueren“ Methoden sind durchaus sinnvoll und individuell angewendet in der Praxis zum Teil ja unbestritten auch nutzbar. Die Entwicklung ist enorm und neutral betrachtet ganz gewiss grundsätzlich erst einmal positiv. Natürlich kann ein breit gefächertes Angebot für die Betroffenen förderlich sein. Man kann Aktivierung individueller und vielfältiger gestalten. Aber bitte nicht für jeden und völlig unreflektiert. Sparsam und biografisch orientiert hat manch neues Angebot dann vielleicht durchaus seine Berechtigung.
Das Schlagwort „Therapie“ oder „therapeutisch“ springt Angehörigen denn auch bei der Suche nach der geeigneten Einrichtung häufig entgegen. Praktisch alles was im Pflegeheim angeboten wird, hat therapeutischen Nutzen – so die Behauptung. Scheinbar darf heute nichts mehr einfach der Unterhaltung dienen.
Dieser Blog wendet sich nicht gegen eine individuell wirksame Begleitung und Betreuung von Menschen mit Demenz und ihrer Angehörigen. Im Gegenteil. Er will aufmerksam machen. Aufmerksam darauf, dass man unter dem Oberbegriff „Demenz“ heute nicht mehr nur verschiedene Erkrankungen subsummiert, sondern leider auch einen immer brutaleren Markt. Brutal deshalb, weil er sich der Ängste der Angehörigen und einem vermeintlichen „Qualitätsdruck“ der beruflich Sorgenden bedient.
Dieser Blog wird u.a. versuchen, sich kritisch mit Angeboten, Büchern oder Aktivitäten auseinanderzusetzen die unter dem Deckmantel therapeutischer Wirksamkeit Versprechungen machen. …sich aber auch anderen Merkwürdigkeiten und Fehlentwicklungen im Themenfeld Demenz annehmen.
Viel Spaß beim Lesen und kommentieren!!
…..und ich hoffe, Sie sind mit dem Prinzipien der Ironie, der Satire und des Sarkasmus vertraut!
Viel Spaß beim Lesen und kommentieren!