Besuche in der stationären Altenpflege in Corona-Zeiten

 

Prolog

Besuchsregeln

Dem pflegebedürftigen Bewohner werden im Rahmen der Besuchszeit mindestens 2 Stunden im Monat gewährt. Bei Besuchen von Angehörigen erhöht sich die Besuchsdauer für 2 Stunden, bei Besuchen von minderjährigen Kindern um 2 weitere Stunden. Wenn Sie einen Bewohner besuchen möchten, benötigen Sie eine Besuchserlaubnis.

Der Besuch kann nur stattfinden, wenn Sie und der Bewohner die nachstehenden Verhaltensregeln für eine ordnungsgemäße Besuchsdurchführung einhalten:

  • Am Eingang der Einrichtung werden nur die namentlich genannten Besucherinnen und Besucher, die sich durch einen gültigen Personalausweis oder Reisepass ausweisen können, eingelassen. Sie werden von dort durch Pflege- oder Betreuungskraft abgeholt und in den Besuchsraum gebracht.
  • Aus Gründen der Sicherheit und Ordnung können Besuche davon abhängig gemacht werden, dass die Besucherinnen und Besucher sich und ihre mitgeführten Sachen mit technischen Hilfsmitteln absuchen oder durchsuchen lassen. Die Einlasskontrollen sind vergleichbar wie auf einem Flughafen. Wickelkinder müssen vor dem Besuch umgewickelt werden. Die hierzu benötigten Utensilien werden durch die Anstalt bereitgestellt.
  • Das Hin- und Herreichen am Automaten erworbener Waren mit dem Bewohner während der Besuchszeit ist nicht gestattet Ohne Genehmigung der Einrichtung dürfen weder Gegenstände noch Lebensmittel an Bewohner übergeben oder von Ihnen entgegengenommen werden.
  • Der Austausch von Zärtlichkeiten während des Besuchs ist nicht zulässig. Diese Regelung gilt auch für Kinder.
  • Besuche werden regelmäßig beaufsichtigt. Die Beaufsichtigung kann mit technischen Hilfsmitteln durchgeführt werden. Besuche dürfen abgebrochen werden, wenn Besucherinnen, Besucher oder Bewohner gegen getroffene Anordnungen verstoßen.
  • Optisch und akustisch überwachter Besuch

Es kann Gründe geben, aufgrund derer die lediglich optische Überwachung Ihres Besuchs unzureichend ist. Sie erhalten dann eine Besuchserlaubnis für einen optisch und akustisch überwachten Besuch (Einzelbesuch). Dies bedeutet, dass Sie mit dem Bewohner und einer Pflege- und Betreuungskraft, die Ihr Gespräch mithören muss, an einem Tisch sitzen. Deswegen müssen alle Gespräche in deutscher Sprache geführt werden oder von einem loyalen Dolmetscher mitgehört werden. Einzelbesuche werden genau 30 Minuten durchgeführt, da für sie immer eine Pflege- oder Betreuungskraft zusätzlich eingeplant werden muss.

 Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieser stationären Pflegeeinrichtung alle erforderlichen Kontrollen sorgfältig durchführen und so dafür sorgen, dass Störungen und Gefahren vermieden werden. Bitte beachten Sie die Anweisungen und begegnen Sie den Pflege- und Betreuungskräften nicht ablehnend. Sie versehen – auch in Ihrem Interesse – einen manchmal schwierigen Dienst.

 Besuche müssen von Bewohnern zu den unten genannten Zeitpunkten beantragt und genehmigt werden. Mit dieser Regelung soll auch vermieden werden, dass Besucher an der Pforte abgewiesen werden müssen, weil die Kapazitäten erschöpft sind. Besucher mit Besuchserlaubnis werden zu den Besuchszeiten vom Eingang abgeholt. Besucher müssen jeweils 30 Minuten vor Besuchsbeginn die Einrichtung betreten, damit Sie die Anmeldeformalitäten, Durchsuchung und Zuführung zum Besuchsraum hinter sich bringen, um rechtzeitig im Besuchsraum zum Besuchsbeginn zu sein. Bei einem verspäteten Erscheinen zum angegebenen Termin kann aus organisatorischen Gründen der Besuch leider nicht mehr stattfinden.

Gibt es diese Regeln wirklich?

Wenn Sie sich ein wenig mit Alten- und Pflegeheimen auskennen, werden Sie sicher gegrübelt haben, welche Einrichtung das den sein könnte. Im besten Fall haben Sie sich gedacht: „Naja, das geht jetzt doch ein bisschen weit“. Im Normalfall haben Sie die Regeln vielleicht für gerade noch vertretbar oder manche Punkte als zu streng empfunden. Kaum einer wird diese Regelungen wohl völlig ok finden.

Warum? Weil Sie gerade die Besuchsregelungen der Justizvollzugsanstalten Neumünster und Wittlich gelesen haben. Und zwar fast wortwörtlich. Lediglich einige wenige Begriffe wie z.B. Anstalt, Gefangene oder Beamte wurden ersetzt.

Das Land Schleswig-Holstein gibt 21 Handlungsempfehlungen als Mindestvorgaben für ein Besuchskonzept in Einrichtungen der Pflege vor. Vieles aus den Besuchsregeln für Gefängnisse findet man dort wieder.

Spätestens mit dieser Erkenntnis und wenn man Bilder von nur wenig würdevollen Besuchssituationen betrachtet, sollten wir uns jetzt vielleicht in allen Teilen unserer Gesellschaft einmal Gedanken machen über die Verhältnismäßigkeit der Besuchsregeln in unseren stationären Pflegeeinrichtungen. Ich denke, es gibt eine Menge Fragen. Einige wären:

  • Dürfen wir pflegebedürftige Menschen wie Strafgefangene behandeln?
  • Ist es zu akzeptieren, dass Bewohner/innen – besonders mobile – daran gehindert werden, sich frei zu bewegen?
  • Ist es ethisch und moralisch in irgendeiner Weise vertretbar, dass Menschen in Pflegeheimen ihre engsten Angehörigen über Wochen nicht persönlich treffen können?
  • Warum darf das Personal die Freizeit selbstverständlich in der Familie verbringen, die Bewohner aber weder Familie noch andere Heimbewohner treffen?
  • Steht Schutz vor Infektionen über Menschenwürde?
  • Ist es rechtens für den Infektionsschutz in Kauf zu nehmen, dass durch den Mangel an menschlicher Interaktion andere erhebliche negative Folgen der Gesundheit auftreten (z.B. Delir, Psychosen, Depressionen)?

Und was ist mit den Menschen mit Demenz die das alles nicht mehr verstehen aber umso mehr auf menschliche Zuneigung und verlässliche Strukturen angewiesen sind?

  • Können wir es verantworten, dass Menschen mit Demenz mit einem großen krankheitsbedingten Bewegungsdrang – oftmals als letzte Ressource für Lebensqualität – in ihren Zimmern eingesperrt werden? Und wenn Sie sich dagegen wehren, sollen wir sie dann kurzerhand fixieren?
  • Ist es haltbar, dass Menschen mit Demenz – die oftmals über Emotionen, Gefühle und Körperwahrnehmung kommunizieren – ihre Angehörigen nur unter einer Maske und mit Trennscheiben oder durch Zäune und Gitter aus der Entfernung wahrnehmen und nicht erkennen?

Menschen zu isolieren ist kein Schutzkonzept!

Natürlich gehören die Bewohnerinnen und Bewohner der Pflegeheime zu der Risikogruppe, die eines besonderen Schutzes vor einer Infektion mit dem Coronavirus bedarf. Seit Wochen haben vielfach weder Angehörige noch ehrenamtliche Besuchsdienste, rechtliche Betreuer oder Seelsorger die Möglichkeit Pflegebedürftige zu besuchen. Viele Pflegekräfte und Heimleitungen sind verunsichert, da in einigen Heimen über hohe Zahlen von Ansteckungen berichtet wurden und dies auch strafrechtlich untersucht wird. Teilweise gehen die Regelungen auf kommunaler Ebene und in einzelnen Einrichtungen deutlich über die Landesverordnungen hinaus bis dahin, dass Bewohnerinnen und Bewohner sogar innerhalb der Einrichtungen isoliert werden, obwohl keine Corona-Infektion vorliegt.

In der Beratung am Alzheimer-Telefon der Deutschen Alzheimer Gesellschaft haben bereits hunderte Angehörige von ihren sehr berechtigten Sorgen um demenzerkrankte Bewohnerinnen und Bewohner berichtet, die sie trotz des Verständnisses für den notwendigen Schutz bewegen. Menschen mit Demenz spüren die Auswirkungen der sozialen Isolation, den veränderten Tagesablauf, die fehlenden Besuche und erleben die Begegnung mit Menschen, die eine Maske im Gesicht tragen. Die Ursache dafür können sie aber nicht erfassen. Demenzerkrankte reagieren auf solche beunruhigenden Situationen mit Rückzug in sich selbst oder aber mit Unruhe oder Aggressivität.

Nicht nur die Lebensqualität der Betroffenen ist durch das Kontaktverbot gefährdet, sondern es besteht auch die Gefahr der zusätzlichen gesundheitlichen Beeinträchtigung. Neuroleptika, die eingesetzt werden, um Unruhe und Aggressivität zu unterdrücken, sind mit starken Nebenwirkungen und einer Erhöhung der Sterblichkeit verbunden.

Angehörige haben vor Ausbruch der Pandemie zusätzlich oft auch das häufig knapp besetzte Pflegepersonal unterstützt, indem sie zeitaufwändige Aufgaben wie das Anreichen von Essen übernommen haben. Auch die Sorge um eine unzureichende Versorgung der Bewohnerinnen und Bewohner ist daher nicht unbegründet, zumal in einigen Einrichtungen das Personal ausgedünnt und die verbindliche Personaluntergrenze ausgesetzt wurde. Mecklenburg-Vorpommern hat jetzt als erstes Bundesland eine Ausnahmeregelung getroffen, wonach Angehörige, die Betreuungs- und Versorgungstätigkeiten übernehmen, wieder zum Besuch in der Einrichtung zugelassen werden können. Besonders skurril: in manchen Einrichtungen wurden Ehrenamtliche rekrutiert um die Pflege und Betreuung zu unterstützen, Angehörige die unterstützen wollten, wurden aber abgewiesen.

Die Bundesinteressenvertretung für alte und pflegebetroffene Menschen (BIVA) stellt fest, dass viele Bewohnerinnen und Bewohner unter den emotionalen und körperlichen Folgen sozialer Isolation leiden.

Täglich gibt es erschütternde Anrufe und E-Mails mit Klagen über die für viele immer noch schwer erträglichen Zustände in vielen Einrichtungen: Besuchsumstände, die wie bereits erwähnt „Gefängnisbesuchen“ ähneln oder für Hörgeschädigte oder Demenzerkrankte nicht geeignet sind. Privatsphäre ist unmöglich. Besuchszeiten sind selbst für weit angereiste Angehörige auf wenige Minuten beschränkt. Die Anzahl der Besucher ist aus Sicht der Betroffenen willkürlich begrenzt. Bettlägerigen und sehr pflegebedürftigen Menschen können Angehörige aufgrund von Abstandsregeln nicht helfend zur Seite stehen. Oftmals wird der Besuch gänzlich verweigert mit dem Hinweis, dass noch kein Hygienekonzept vorliege. Das sind nur einige der häufigsten Beschwerden.

Erste Ergebnisse einer bundesweiten BIVA-Umfrage – die Umfragen anderer Betroffenenverbände stützen diese – zeigen bereits, dass Angehörige, die Zutritt in die Einrichtungen erhalten haben, nicht selten einen schlechten Allgemeinzustand der Bewohner feststellen, was auf die verringerte Betreuungs- und Pflegeleistung zurückzuführen ist. Ein Zusammenhang mit den ausbleibenden Besuchen, die in den Einrichtungen stets sowohl eine kontrollierende als auch sehr häufig eine aktiv unterstützende Funktion haben, ist schnell herzustellen. Die Ergebnisse einer aktuellen Umfrage der BAGSO, an der sich mehr als 1.000 Betroffene, meist Angehörige von Bewohnerinnen und Bewohnern, beteiligt haben, offenbaren dramatische gesundheitliche Folgen der Maßnahmen: 70% stellen eine Verschlechterung des Allgemeinzustands ihrer pflegebedürftigen Angehörigen fest. Besonders häufig (rund 65%) wird über einen Rückgang kognitiver Fähigkeiten berichtet, in etwa der Hälfte der Fälle sei es zu starken Gewichtsveränderungen gekommen.

Einrichtungen in Schwierigkeiten

Wie Einrichtungen mit dieser Problematik konkret umgehen sollen, wird weitgehend Ihnen überlassen. Es ist gesamtgesellschaftlich scheinbar eher weniger relevant. Sollen doch die Pflegeheime schauen wie sie damit klar kommen. Hätten ja genügend Schutzkleidung und Personal vorhalten können. Aber statt für ausreichend Schutzkleidung, vor allem für das Personal, in Pflegeeinrichtungen zu sorgen wurden lieber Besuchsverbote, -beschränkungen und Ausgangssperren verhängt.

Wobei ich mir bis heute die Frage stelle, wieso eigentlich das Pflegepersonal die Abende in der Familie verbringen kann, aber ein nicht kognitiv eingeschränkter aber mobiler Bewohner nicht vor die Tür des Pflegeheimes gehen darf. Ein älterer Mensch hat doch wohl kaum per se weniger Verantwortungsbewusstsein als das Personal. Auch die „Gefahr“ die von ihm ausgeht ist eher kleiner. Er trifft ja schließlich nicht in einer Wohnung auf die gesamte Familie.

In Schleswig-Holstein entscheiden die Einrichtungen weitgehend selbst darüber, welche Ausnahmen sie zulassen, soweit sichergestellt ist, dass geeignete Maßnahmen zum Schutz vor Infektionen getroffen werden. Merkwürdigerweise kommen Friseurinnen und Friseure sowie Fußpflegerinnen und Fußpfleger bereits wieder in die Einrichtung. Das stellt sich zwangsläufig die Frage der Gewichtung? Bewohner, die die Einrichtung verlassen, um sich mit Familienangehörigen zu treffen, droht hingegen eine zweiwöchige Quarantäne. Trotz gelockerter Regeln für alle anderen Bürger. In der Praxis wird das bedeuten, dass sie ihr Zimmer so lange nicht verlassen dürfen. Die Verhältnismäßigkeit bleibt hier eindeutig auf der Strecke.

Nicht allen Verantwortlichen scheint klar zu sein, dass es sich bei den Kontaktverboten zwischen engsten Familienangehörigen um die mit Abstand schwersten Grundrechtseingriffe in der gesamten Corona-Zeit handelt. Sie mögen zu Beginn der Corona-Krise begründet gewesen sein, aber sie waren auf einen Zeitraum von vier oder sechs Wochen ausgelegt und dürfen auf keinen Fall unverändert Bestand haben.

Und die Gesundheitsämter? Sie geben berechtigte Hygieneempfehlungen ab, übernehmen aber keine Verantwortung. Die bleibt fast vollständig bei der Einrichtung. Die sollen zum einen alle Vorschriften einhalten und die Vorgaben der Prüfstellen erfüllen, zum anderen sollen sie die berechtigten Forderungen und Wünsche der Angehörigen hören und umsetzen. Dazu noch die Bewohner in Schach halten damit ja keiner „flieht“. Und wenn dann doch Coronainfizierte in der Einrichtung gefunden werden, sind sie schuld. Ein Grund oder kleines Versäumnis findet sich i.d.R. immer. Also kein Wunder das Einrichtungen versuchen sich wie irgendmöglich – und trotz des Wissens das es für ihre Bewohner zum Teil verheerende Folgen hat – abzusichern.

Daraus ergeben sich folgende Forderungen:

  • Schnelle und spürbare Lockerung des Besuchsverbotes in Pflegeheimen, denn der persönliche Kontakt ist gerade für Menschen mit Demenz überlebensnotwendig. Telefonieren und Videochat sind für sie i.d.R. keine geeigneten Kommunikationsmedien. In einer Reihe von Bundesländern wurde zwischenzeitlich tägliche Besuchsmöglichkeiten verfügt, dass Bewohnerinnen und Bewohner wieder täglich von ihren Angehörigen bzw. anderen nahestehenden Personen besucht werden können. Zu diesen Ländern zählen Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, das Saarland, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Die anderen Länder sollten zügig folgen.
  • Sorgfältige und vor allem nachvollziehbare Abwägung zwischen Schutz und Lebensqualität
  • Individuelle Lösungen für jeden Bewohner und jede Bewohnerin entsprechend ihrer Bedarfe. Innovative Ansätze der Versorgung und Begleitung pflegebedürftiger Menschen unter den Bedingungen von Corona müssen gefördert und als Beispiele guter Praxis breit kommuniziert werden.
  • Anwendung von freiheitsentziehenden Maßnahmen – auch in Zeiten von Corona – wenn überhaupt, nur begründet, verhältnismäßig und zeitlich eng befristet.
  • Schaffung von Aktivitäten und Bewegung – auch an der frischen Luft – auch in Zeiten von Corona.
  • Notwendige Schutzkleidung, Hygiene- und Schutzmaßnahmen sowie Tests für Angehörige, um Besuche zu ermöglichen
  • Bereitstellung von Schutzvisieren anstelle von Mund-Nasen-Masken, zur Ermöglichung eines visuellen Kontakts für Angehörige von Menschen mit Demenz

Nicht zu vergessen: Häusliche Pflege und Betreuung

 Die DGGG (Deutsche Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie) betont zurecht, dass Menschen mit Pflegebedarf sind Bürger*innen, denen die gleichen Rechte wie allen anderen zustehen.

Die weitaus meisten Menschen mit Pflegedarf leben in Privathaushalten. Ihre Versorgung wird überwiegend durch pflegende Angehörige, vor allem (Ehe-)Partnerinnen und Töchter, sichergestellt. Deren zu wenig anerkannte Arbeit wird in der jetzigen Situation noch herausfordernder und belastender; ihre Teilhabechancen sind ebenso gefährdet. Viele sind berufstätig und müssen aktuell und in den nächsten Monaten berufliche Verpflichtungen mit Anforderungen von Pflege und Infektionsschutz abwägen. Unterstützungsangebote für die Sicherstellung der Pflege, ohnehin nicht in allen Regionen gut entwickelt, stehen nicht mehr im gewohnten Umfang zur Verfügung oder sind weggefallen, wie Tagespflege und Betreuungsgruppen; viele der privat angestellten ausländischen Pflegehelfer sind kurzfristig ausgefallen. Die Pandemie und die damit einhergehenden finanziellen, gesundheitlichen und sozialen Krisen treffen Pflegehaushalte besonders drastisch; isolierte und überlastete Pflegesituationen sind zugleich anfälliger für eskalierende Überforderung, Gewalt und Vernachlässigung.

Dabei haben professionelle Akteure der Pflege alter Menschen, Angehörige und Nachbarinnen bereits vorbildhaft begonnen, neue und innovative Ansätze zur Verbesserung der Teilhabe und Versorgung von Menschen mit Pflegebedarf trotz Corona zu entwickeln und zu erproben. Dazu gehört die Förderung digitaler Teilhabe durch Online-Meetings ebenso wie die z.B. Ausweisung von Schutzräumen in der Nachbarschaft, die Menschen mit Pflegebedarf Spaziergänge ermöglichen.

Deshalb ist es zwingend notwendig, Beratungs- und Unterstützungsangebote für pflegende Angehörige aufrecht zu erhalten und für die aktuellen Bedarfe anzupassen und zu verstärken. Erwerbstätige pflegende Angehörige benötigen wegen der Gefährdung ihrer Angehörigen besondere Rechte auf Homeoffice und ggf. Ausgleich von Nachteilen. Für Pflegenotsituationen muss leicht zugänglich finanzielle und personelle Unterstützung vorgehalten werden.

 

Epilog

Die Problematik des coronabedingten Umgangs in Schulen oder Kitas beschäftigt ganze Horden von Experten, Medien und Politikern. Kinder haben auch jetzt wieder spürbar und offenkundig mehr Lobby als alte Menschen. Wehklagende Eltern, die ja i.d.R. freiwillig ihren Nachwuchs bekommen haben, beschweren sich allerorts laut über die Mehrbelastung. Und sogar unser Bundespräsident lobt die Eltern und Kinder wie toll sie das doch in der Corona Krise alles hinbekommen haben. Im neuen Konjunkturpaket gibt es jetzt gar mit der Gießkanne 300 € pro Kind oder mehr.

Pflegende Angehörige mit gleicher oder höherer familiärer Belastung gehen wieder einmal leer aus. Im Grunde eine Missachtung der gesellschaftlichen Leistung und ein Skandal der kaum jemanden stört. Hätten die Eltern nur mal für einige Tage einen demenzerkrankten Angehörigen im fortgeschrittenen Stadium zuhause, würden sie sich wahrscheinlich lieber noch 2 weitere Kinder wünschen.

Aber natürlich sollten Belastungen in dieser Zeit nicht gegeneinander aufrechnen. Es bleibt nur Fakt: die Gewichtung ist immer wieder ungleich und damit im hohen Maße ungerecht.

 

Nachtrag

  • Schon während des Schreibens von neuen Entwicklungen überholt.

Am 05.06.20 hat die Landesregierung S.-H.  zu diesem Thema mit Geltung ab dem 08.06.20 folgendes beschlossen:

„Ab dem 8. Juni 2020 gibt es keine generelle Schließung von Pflegeeinrichtungen mehr.“ Und etwas weiter: „Deshalb besteht noch bis zum 14. Juni 2020 ein Betretungsverbot in voll- und teilstationären Einrichtungen der Pflege.“ Logisch, oder?

Für Angehörige sicher wieder nicht leicht zu verstehen. Sicher ist aber, dass stationäre Einrichtungen bis zum 15.06.20 ein Besuchskonzept vorhalten müssen. Zwangsläufig stellt sich hier die Frage: „hat eine verantwortungsvolle Einrichtung das nicht schon längst erarbeitet?“

„Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeeinrichtungen sowie von Einrichtungen der Eingliederungshilfe haben wie jeder Mensch Grundrechte, zu denen auch das Recht auf Kontakt mit den Angehörigen zählt“  und „Auch wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass hiermit das Infektionsrisiko steigt, ist dieser Schritt in Abwägung der Verhältnismäßigkeit zwischen Infektionsrisiko und den Folgen einer mangelnden Teilhabe geboten.“ so der in der Krise ansonsten sehr umsichtige Gesundheitsminister Dr. Garg zu diesen Änderungen.

Manch Angehöriger hätte sich sicher gewünscht, dass diese Erkenntnis schon vor einigen Wochen mehr Beachtung gefunden hätte.

Foto: NDR